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Trommelklänge drangen gedämpft in den Tempel, in dessen Geborgenheit
Asefi seit Stunden lag und immer tiefer in die Welt der Loa sank.
Das flackernde Licht der Kerzen und Öllampen ließ das Tageslicht
vergessen.
Welch ein Geschenk, im weichen Schoß afrikanischer Gottheit geborgen
zu sein! Welch ein Augenblick, als sie voller Scheu und Hingabe
rückwärts in den heiligen Raum des Tempels geführt worden war. In
einem Becken hatten Hounsis sie gebadet und mit Wasser voller
aromatischer Kräuter übergossen. Sie hatten Lieder für die Loa
gesungen. Asefi empfand sich als klein und verletzlich, verschmolzen
als Tropfen mit den Wassern des Ozeans.
Von ihren Gefährtinnen, die mit ihr und doch jede für sich auf der
spirituellen Reise waren, merkte sie nichts. Jede reiste auf ihre
eigene Art. Noch war sie wie in einem geheimnisvollen Wartesaal und
wusste nicht, welcher Loa sie als erstes aufsuchen würde, um sie an
seinem Wesen teilhaben zu lassen.
Bald sah sie sich als Kind durch einen dichten Wald gehen, aus
dessen Blättern und Zweigen es überall von Leben wisperte. Der Wind
raschelte im Blattwerk aus allen Schattierungen von Grün, und sie
bemerkte die Ankunft des ersten ihrer Schutzgeister. Grand Bwa, der
Herr des Waldes und der Fülle des Dschungels, nahm sie auf seine
knorrige Hand und streifte sie mit seinem Kräutergesicht, das alle
Aromen der Pflanzenwelt gleichzeitig verströmte. In seinen Armen aus
lebendigem Holz nisteten die Vögel des Himmels. Dort fand sie sich
in einem Ei wieder, in einem Nest mit anderen Eiern. In dieser Welt
war sie noch ein ungeschlüpftes Küken. Das Ei müsste noch eine Weile
bebrütet werden, um den neuen Keim zu entwickeln.
Zeit spielte keine Rolle und schon saß sie als bunter Vogel mit
schillernden Schwanzfedern am Nestrand, noch ängstlich flatternd,
bis ihr eine kräftige Brise unter die Flügel griff und sie hinweg
trug.
Über den Wipfeln der Bäume zeigte ein lockender Sog ihr die
Richtung. Dieser Strömung gab sie nach, wurde zuversichtlich und
mutig, bis am Rande einer kleinen Lichtung eine windschiefe Hütte zu
erkennen war. Das Fenster stand weit auf. Im Inneren auf einem Lager
aus Binsenstroh atmete schwer eine alte Frau im Sterben liegend.
Unvermutet war sie selbst diese ausgemergelte Person, der die Luft
nur noch pfeifend den Lungen entwich. Bleiern belastete das Alter
die Brust und niemand war da, ihr die Last abzunehmen. Ihr Mund war
trocken und die Zunge klebte am Gaumen. Neben dem Bett stand, längst
leer, ein Wasserkrug. Sie hätte nicht die Kraft gehabt, ihn
anzuheben.
Ihre Hand versuchte, Fliegen zu verscheuchen, die ihr über Gesicht,
nackte Arme und Beine krabbelten. Die Finger zitterten aber nur noch
trotz aller Bemühung.
Etwas wehrte sich in ihr. Sie wollte doch Priesterin werden und
nicht als alte Frau sterben, bevor sie die Weihe überhaupt erreicht
hatte. Wo war sie? Lag sie nicht im Tempel von Papa Sovè und sollte
Mambo werden wie ihre Schwester? Nein, das musste unendlich lange
her gewesen sein, denn da kam sie herein, ihre alte Schwester, am
schlurfenden Schritt leicht zu erkennen.
Lamesi war doch älter als sie selbst und musste sie pflegen? Sie war
immer so gut gewesen und hatte jetzt noch die Aufgabe, ihr die
müden, fast blinden Augen zuzudrücken? Asefi dachte nach. Hatte sie
selbst nicht Kinder gehabt? Sie hatte doch Kinder geboren. Wo waren
sie nur? Es war so schwer sich zu erinnern. So gern hätte sie deren
Hände in ihren gehalten. Immer weiter sackte sie weg, ihr Atem blieb
aus und sie drohte in einem Meer von Schwärze zu versinken.
Da spürte sie die Lippen ihrer Schwester an der Stirn und ihr Atem
streifte ihr Gesicht. Sie erkannte zum letzten Mal Lamesis
vertrauten Geruch. Tränen tropften auf ihre Wangen und schmeckten
salzig. Das war das Letzte, was sie wahrnahm, bevor ein Strudel sie
erfasste und in einer Spirale nach oben zog. Sie drehte einem hellen
Licht entgegen und war mit allem zufrieden, was geschah.
Sie hörte Lieder der Loa, schlug erstaunt die Augen auf und sah eine
Vielzahl nackter Füße um ihr Lager. Die Menschen halfen ihr auf die
zittrigen Beine, die sich alt anfühlten und nicht wie Gliedmaßen
eines jungen, starken Menschen.
Wieder waren Trommeln zu hören, die noch immer in magischem Rhythmus
ihre Botschaft in die Nacht hinaustrugen. Ein weißes Laken wurde ihr
übergeworfen und ein Strohhut auf den Kopf gesetzt. Dann ging es
hinaus den geheimnisvollen Schwingungen des Zeremonieplatzes
ent-gegen, geführt vom Klang einer Asson. Sie spürte Vibrationen,
lauschte auf die Stimmen der Singenden, fühlte das Stampfen der Füße
und den schnellen Atem der Tanzenden.
Ihre nackten Füße schritten über warmen Sand, bis hin zu einem
Korbsessel. Die Gegenwart der Ahnen hinter ihr gab ihr Kraft und
Zuversicht. Die durch die Fußsohlen einströmende Kraft der Erde
verwurzelte sie, als sei sie ein Baum, der seit Jahrhunderten an
diesem Ort stand und das Treiben der Menschen mit seinem Blätterdach
beschirmte.
Kinder hockten bei ihr auf dem Boden und drängten sich dicht an sie,
begleitet vom nahen Grunzen des Schweins, das damit auf sich
aufmerksam machte. Sein Leben würde zur Brücke für den
herabkommenden Loa werden. Sie spürte die Schweineschnauze an ihrem
Fuß, und die Zunge leckte über ihre Zehen.
Sie wusste, der Loa war nicht mehr fern und verlangte nach ihrem
Körper. Sie begann zu zittern, und ein sanftes Rieseln erfasste ihre
Haut. Eine Hand streifte die ihre und fasste sie. Sie erkannte den
Händedruck von Papa Sovè, der sie aufforderte aufzustehen. Er reihte
sie ein zu den Tanzenden, ihr Körper folgte den Rhythmen und sehnte
sich nach Hingabe.
Sie nahm den Geruch von Blut war, für einen Moment schien ihr Herz
auszusetzen und ihre Seele aus dem Körper zu wollen. Da wurde eine
Stirn an die ihre gedrückt, und sie wurde herumgewirbelt. Alle Kraft
und Wahrnehmungen konzentrierten sich auf einen Punkt, um sich
danach aufzulösen. Die Welt um sie her drehte sich in einem
wirbelnden Strudel, der alles erfasste, was Leben in sich trug.
Mit einem Mal strömte Energie in sie hinein, die sie mit der Gewalt
eines Sturmes packte und etwas in ihr wachsen ließ, was nicht sie
selber war. Größe und Präsenz erfüllten ihren Körper mit göttlicher
Gegenwart, vor der alles Menschliche nackt und bloß und in all
seiner Verletzlichkeit dastand. Ein Tuch wurde straff um den linken
Arm gebunden und half, diese Kraft im Körper zu festigen. |
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