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Die Machete fuhr mit einem sirrenden Geräusch direkt ins Kopfende
des Grabes, zerfetzte dabei Blüten eines Blumenstraußes und schlug
pochend mit dem Griff an den Längsbalken des Kreuzes. Phillip Sworn
erschrak am frischen Grab seines Onkels und ließ fast seinen
Strohhut fallen.
Er trat einen Schritt zurück, blickte suchend an der Mauer der
kleinen Kirche empor, an deren Außenwand die letzte Ruhestätte von
Peter Sworn grenzte, dem Geistlichen einer nordamerikanischen
Wiedererweckungskirche.
Der Schrecken hatte Phillip aus seinen Gedanken gerissen. Wie konnte
sein Onkel so plötzlich versterben, da er doch die sechzig gerade
erst erreicht und sich guter Gesundheit erfreut hatte? Nach vielen
Jahren mit wenig Kontakt hatte Phillip sich zu einem Besuch
entschlossen. Bei seiner Ankunft in Haiti musste er erfahren, dass
der Reverend seit zwei Tagen tot war und die Beerdigung schon
gestern stattgefunden hatte. Beunruhigende Gedanken kreisten in
seinem Kopf, die ihn am natürlichen Tod seines früheren Vormunds
zweifeln ließen.
Eine Leiter lehnte am Dach des bescheidenen Gotteshauses. Jemand
hockte auf der Dachschräge, um Kletterpflanzen aus der Dachrinne zu
entfernen. Dabei war ihm seine Machete entglitten und mit der Klinge
voraus ins Grab gesaust. Direkt in Richtung des Schädels, musste
Phillip unwillkürlich denken. Als wäre der Onkel nicht tot genug!
Auf dem Dach kauerte ein zerknittertes Männchen unbestimmbaren
Alters mit verwaschener Kleidung und blickte ihn aus einem halb
entschuldigenden, halb anklagenden Auge an. Das andere Auge war von
einer milchigen Haut überzogen und offenbar blind. Die gesunde Iris
funkelte umso lebendiger aus einem dunkelaschgrauen Gesicht.
Beide Männer waren sprachlos. Doch plötzlich kam Bewegung in die
magere Erscheinung auf dem Dach. Flink war er an der Leiter, vom
Dach hinab und am Grab. Er zog seine Machete heraus und ging ohne
Hast leicht hinkend davon.
Phillip Sworn blickte ihm hinterher. Sein Kreolisch war lückenhaft,
zu lückenhaft, um in diesem Moment die passende Ansprache zu finden.
Schon war der Mann zwischen nahe stehenden Bruchbuden verschwunden.
Nur ein paar Kinder und Halbwüchsige lungerten herum.
Zum ersten Mal in seinem Leben freute Phillip sich darüber, dass er
seiner schwarzen Großmutter einen hellbraunen Teint zu verdanken
hatte. Hier in Haiti in einem Vorort von Port-au-Prince und nur
wenige Kilometer von dem berüchtigten Slum Cité Soleil entfernt,
wäre weiße Haut auffallend, vielleicht sogar gefährlich. So konnte
er gerade noch als „Neg“ durchgehen, wie die Haitianer sich selbst
in Abgrenzung zu den „Blanc“, den Weißen, nannten, zu denen auch
sein Onkel gehört hatte.
Hätte er sich doch in seinem Hotel mitten in Port-au-Prince
umgezogen. Er wirkte zu elegant, um als Einheimischer durchgehen zu
können.
Wer mochte die Beerdigung durchgeführt haben? Warum war das
Gemeindehaus verschlossen? Welcher Arzt hatte die Leiche untersucht?
Im Garten entdeckte er einen Mann, der dabei war, ein paar
Pflänzchen in den Boden zu setzen. Er fragte ihn nach dem Arzt des
Onkels und verstand immerhin so viel, dass dieser in Cité Soleil
arbeitete.
Phillip graute davor, dort Nachforschungen anzustellen.
Da niemand in der Kirche oder im Gemeindehaus war, blieb ihm nur der
Weg zurück zu seinem Hotel. Nach einem Taxi suchend schlenderte er
los.
In Richtung Stadt, näher am grauenvollen Armenviertel, wurden die
Hütten immer schäbiger, sein Unbehagen immer größer. Kinder wichen
vor ihm zurück, hielten aber bei der nächsten Ecke an, um ihm
neugierig hinterher zu schauen.
Hunde identifizierten ihn sofort als Fremdkörper. Die meisten der
ausgemergelten Geschöpfe kläfften ihn an, einige kniffen vor ihm den
Schwanz ein. Sie verdrückten sich unter die verbeulten
Straßenkreuzer, die bessere Zeiten gesehen hatten.
An einer der Blechkisten lehnte ein Fahrer, der beim seltenen
Anblick eines Fremden die Chance auf Trinkgeld witterte und
einladend eine Tür aufhielt, die Phillip dankbar als Ausstieg aus
diesem Szenarium wählte.
Von Beruf war Phillip Sworn Rechtsanwalt und kannte Ungereimtheiten
mit Todesfällen. Noch vor zwei Wochen hatte er mit seinem Onkel
telefoniert und sich dabei die Klagen über die Undankbarkeit in
Haiti anhören müssen. Die Kinder in seiner Sonntagsschule hätten die
Belehrungen des Reverends nicht zu schätzen gewusst, ihm hinterher
aber die Reisschüsseln aus den Händen gerissen, als hätten sie ein
Recht darauf. Keine Demut, keine Dankbarkeit und kein Benehmen!
Über Gesundheitsprobleme hatte er nicht geklagt. Nur die zu dieser
Jahreszeit ungewöhnliche Hitze war ihm lästig gewesen.
Warum war sein Onkel in diesem Drecknest so plötzlich gestorben? |
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